Bundesozialgericht Az B 12 R 15/21R Scheinselbstständigkeit Ein-Personen – GmbH, Einmann-GmbH, Beitragspflicht, Umgehung der Beitragspflicht, Beitragsrisiko, Scheingeschäft, Scheingründung, LSG Darmstadt Urteil v. 18.11.2021, L 1 BA 25/21, Besprechungsergebnis der Spitzenverbände vom 13.4.2010

Ein-Personen-GmbH und die Scheinselbstständigkeit – die Bombe tickt?

Auch wenn die Statistiken wenig Auskunft darüber geben, wie viele Ein-Personen GmbHs es unter den statistisch festgehaltenen Kapitalgesellschaften von 535.000 in Deutschland gibt, ist in dieser Zahl (Wikipedia spricht von 40 %, börsenorientierte Aktiengesellschaften von ca. 500-600 abgezogen), eine hohe Zahl sogenannter Einpersonen-GmbHs enthalten.

Diese zeichnen sich dadurch aus, dass in einer solchen Gesellschaft  in der Regel ein Gesellschaftergeschäftsführer tätig ist, der 100 % der Anteile an der Gesellschaft hält und daher dort nicht abhängig beschäftigt ist.

Diese Ein-Personen GmbHs treten auf dem Beschäftigungsmarkt auf und bieten Dienstleistungen in Dienstleistungsverträgen mit Dritten an. Naturgemäß werden diese Dienste durch den Gesellschaftergeschäftsführer, der in der Regel 100 % an den Gesellschaften hält, ausgeführt.

Für den Praktiker im Sozialversicherungsrecht, insbesondere den Beitragsrechtler, stellt sich zwingend die Frage, ob die Gründung einer Einmanngesellschaft zum Zwecke der Durchführung von Dienste mit Dritten eine Umgehung der Pflicht darstellen könnte, die im Rahmen dieser rechtlichen Verbindungen erzielten Vergütungen der Beitragspflicht in den gesetzlichen Versicherungen zu unterwerfen. Diese Pflicht muss der Auftraggeber immer prüfen (§ 28 ff. SGB IV), und die Beitragspflicht stets beachten. Hat er Zweifel, muss er ggfls. die vermuteten Beiträge unter dem Vorbehalt der Rückforderung zahlen und die Beitragspflicht in einem Statusfeststellungsverfahren, jüngst reformiert, feststellen lassen.

Die Frage der Tätigkeit von Einmann-GmbHs liegt aktuell dem Bundessozialgericht zur Entscheidung vor wie folgt:

„Ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag über stationäre Pflegedienstleistungen zwischen einer ein – Personen – GmbH und einer Krankenhausgesellschaft als Scheingeschäft aufgrund eines Missbrauchs der Rechtsform nichtig und begründet somit ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis des alleinigen Gesellschafter – Geschäftsführers einer ein – Personen – GmbH mit der Krankenhausgesellschaft (Aktenzeichen B 12 R 15/21 R)“.

Die Vorinstanz, das Landessozialgericht Darmstadt, hat dies in ihrem Urteil vom 18.11.2021, Aktenzeichen L 1 BA 25/21 verneint.

Sollte das Bundessozialgericht durch seinen zwölften Senat, der nach ausdrücklicher Auffassung des Verfassers, vor allem bei GmbH Geschäftsführern eine gewisse Beitragsfreudigkeit unter dem deutlich reduzierten Blickwinkel auf die Kräfteverhältnisse in der Gesellschafterversammlung entwickelt hat, zum Ergebnis kommen, dass die Gründung einer solchen Einmann – GmbH eine Umgehung der Sozialversicherungspflicht in bestimmten Fällen mit sich bringt, könnte sich bei Einmann – GmbHs sehr schnell das Ende der täglichen Geschäftstätigkeit einstellen.

Der Auftraggeber, der gerne die Geschäfte mit einer GmbH pflegt, die als solche bei der Erbringung ihrer Dienste nicht der Beitragspflicht unterliegt, löst sich unter dem Eindruck der schlagartigen Explosion seiner Kosten um bis zu 20 % (oder sogar mehr) sehr schnell von seinem teuren Auftragnehmer.

Das Landessozialgericht hat eine Beitragspflicht, welche die Beklagte im Rahmen eines Staates Feststellungsverfahrens gesehen hat, verneint, jedoch in dieser brisanten Konstellation gesehen, dass diese durch das Bundessozialgericht noch nicht entschieden ist und daher in dieser Frage die Revision zugelassen, die vermutlich einen wesentlichen Baustein in der Beitragspolitik der Beklagten darstellt.

Das Landessozialgericht hat auf die Dienstleistungsvereinbarungen zwischen den Beteiligten abgehoben und dort zwar untypische Formulierungen gesichtet, diese jedoch als nicht durchschlagend im Sinne der Bejahung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses gewürdigt.

Es kommt zum Ergebnis, dass die eigenständige Rechtssubjektivität von natürlichen und juristischen Personen unterschieden werden muss und nur in besonderen Ausnahmefällen durchbrochen werden darf.

In diesem Zusammenhang hat es das Besprechungsergebnis der Spitzenverbände vom 13.4.2010 so eingeschätzt, dass dieses Ergebnis diese Grundsätze nicht richtig beachtet und daher unbeachtlich ist.

In diesen Grundsätzen hat unter anderem die Beklagte (neben weiteren Spitzenverbänden) ein rechtlich nicht weiter fundiertes allgemeines Bedürfnis formuliert, bei Einmann – GmbHs in einer typischen Konstellation abhängige Beschäftigungsverhältnisse zu wittern. So einfach wird es nicht gehen, dies hat auch das Landessozialgericht festgestellt.

Die Folge war, dass es sehr genau anhand der Vorschrift des § 117 BGB die Willenserklärungen untersucht hat, die abgegeben wurden. Es hat festgestellt, dass eben im konkreten Fall gerade nicht eine Willenserklärung zum Schein abgegeben wurde, sondern die Durchführung der Dienstleistung durchaus aus einem ernst gemeinten Rechtsgeschäft heraus gewollt und umgesetzt wurde.

Letztendlich werden daher die sorgfältige Überprüfungen der Umstände und der Motivation bei der Eingehung des Geschäfts, vielleicht sogar bei der Gründung der Einmann – GmbH, ausschlaggebend sein.

Die Beschreibung dieser Kriterien wird man von der Entscheidung des Bundessozialgerichts erwarten dürfen, mit den Auswirkungen, die weiter oben beschrieben sind.

Hamburg, den 20.9.2022

Tausende von Klagen der Krankenkassen gegen Kliniken auf Rückforderung von Krankenbehandlungskosten

Von „zehntausenden Klagen von Krankenkassen gegen Kliniken in Nordrhein-Westfalen“ berichtet das Ärzteblatt in seiner Ausgabe 26.11.2018.

Nicht nur in Nordrhein-Westfalen, auch in Hamburg und anderswo, klagen die Krankenkassen tausendfach auf Rückerstattung angeblich unzutreffend berechneter Krankenbehandlungskosten in Krankenhäusern.

Mitunter führen diese Rechtsstreite in Fachgebiete und Behandlungsmethoden, mit denen Neuland betreten wird und zu denen sich zahlreiche rechtliche Fragen, u.a. auch zum Umfang der mit dieser Behandlung notwendigen medizinischen Aufklärung ergeben.

Zu diesen Fragen hat sich jetzt das Landessozialgericht Hamburg in einem Urteil geäußert, Urteil vom 28.03.2019, Aktenzeichen L 1 KR 125/17.

Bereits in I. Instanz (Urteil Sozialgericht vom 05.10.2017, Aktenzeichen S 48 KR 1744/15, hat das Sozialgericht die beklagte Krankenkasse zur Zahlung verurteilt und, im Wege der Leistungsklage, den Vergütungsanspruch aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V. mit § 7 Satz 1, 1 und § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG sowie § 17 b des Krankenhausgesetzes und hiermit verbunden in der Anlage 1 Fallpauschalenkatalog der G-DRG-Version 2010 bejaht.

Wenn die Versorgung im zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und sie auch erforderlich ist gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V, entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unmittelbar durch die Inanspruchnahme der Leistung durch den versicherten Patienten (hierzu BSG, Urteil vom 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R).

Hier liegt ein Problem der zu entscheidenden Rechtsstreite. Fraglich ist, ob die Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und notwendig ist.

Im konkreten Bezug zur allogenen Stammzellentherapie muss die Behandlung des Versicherten dem Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGV entsprechen und auch eine Indikation zum Einsatz einer solchen Therapie bei dem Versicherten vorliegen. Ohne intensive sachverständige Feststellungen werden diese Zahlungsansprüche nicht zu klären sein. Es ergeben sich Fragen wie: welche Reichweite der Therapie ist indiziert (hierzu BSG, Urteil vom 17.12.2013, Aktenzeichen B 1 KR 70/12 R).

Das Für und Wider der Behandlungsmethode ist sorgfältig abzuwägen, die Zweckmäßigkeit der Therapie ist zu klären.

Konkrete Studien müssen herangezogen und sachverständig beurteilt werden (hier: Studie Tessoulin@al, 2016) und die Beschreibung positiver Effekte einer alogenen Stammzelltherapie berücksichtigt werden (wie beschrieben von kurika houri, 1999).

Auch die individuelle Indizierung beim Versicherten kann hoch streitig sein und sehr unterschiedlicher sachverständiger Beurteilung unterliegen.

Selbst im konkreten Fall ergaben sich zahlreiche Fragen zum prozentualen Anteil der Gesamtüberlebenden an den Behandelten und auch Fragen zu der Qualität der Überlebensraten.

Ebenfalls müssen Erkenntnisse über das Auftreten von Rezidiven und über den kurativen Effekt der Behandlungen mit einbezogen werden.

In der II. Instanz hat die beklagte Krankenkasse die in der I. Instanz gewonnene Erkenntnissicherheit hinterfragt mit der Auffassung, dass jedenfalls die vom Sozialgericht eingeholten Studien aus den Jahren 2014 und 2016 nicht den Rückschluss auf die Wirksamkeit der Methode erlaube. Im konkreten Fall habe man daher den weiteren Verlauf der Krankheit abwarten müssen und erst im Falle des Auftretens eines weiteren Rezidivs eine Behandlung mit einer Chemoimmuntherapie beginnen dürfen. Im konkreten Fall habe die durchgeführte Bestrahlung der Krankheitsherde das notwendige Maß an Behandlung erfüllt.

Diese Zweifel an der Therapie hat das Landessozialgericht nicht durchgehen und sich für seine Begründung erneuter sachverständiger Hilfe bedient. Es ergab sich, dass bereits seit Ende der 1990ziger Jahre Überlebenschancen der behandelten Patienten erkennbar waren. Wegen der Risiken der Therapie würde sie erst in einem späteren Krankheitsstadium nach einem Rezidiv angewendet.

Auch diese Anwendung sei allerdings nur in bestimmten Zeitfenstern möglich. Im konkreten Fall waren diese Voraussetzungen gegeben.

Die medizinischen Voraussetzungen, die Notwendigkeit der Behandlung sowie die Indikation hat das Landessozialgericht, nach erneuter intensiver sachverständiger Beurteilung, wie in der I. Instanz nachvollzogen. und bejaht. Insoweit darf auf die Urteilsgründe verwiesen werden.

Das mit der Behandlung verbundene nicht unerhebliche Mortalitätsrisiko führt aber nach Auffassung des entscheidenden Senats dann dazu, die Behandlung auch darauf hin zu überprüfen, ob sie de lege artis durchgeführt wurde und auch darauf hin, ob eine ausreichende Aufklärung des Patienten über die Risiken der Behandlung durchgeführt wurde.

Den letzten Punkt hat das Landessozialgericht Hamburg, entgegen der I. Instanz, ausführlich beleuchtet. Es hat noch mal die Voraussetzungen dahingehend beschrieben, dass eine umfassende Information über Eigenart, Nutzen und Risiken der geplanten Behandlung in den Aufklärungspapieren enthalten sein muss, so dass auch dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten in vollem Umfang Rechnung getragen wird.

In der konkreten Einverständniserklärung wird daher besondere Sorgfalt der Formulierung abverlangt, die auch der schicksalhaften Entscheidung des Versicherten Rechnung trägt.

Obwohl die konkrete Einverständniserklärung mit einem Vordruck erfolgt ist, zeigt sich in der konkreten Betrachtung, dass der Kläger dort individuell aufgeklärt wurde. Es müssen die, im konkreten Gespräch erörterten, Risiken manifest sein, auf eine möglicherweise tödliche Schädigungen der Leber muss hingewiesen werden, es muss darüber hinaus ein Hinweis erfolgt sein, dass spezielle persönliche Risikofaktoren auch erörtert wurden.

Die Beklagte hat in der rechtlichen Auseinandersetzung gefordert, es müssten Hinweise gegenüber den Patienten darüber erfolgen, dass aus dem Zeitablauf heraus sich Verbesserungen seiner Situation gezeigt hätten und gegebenenfalls auch noch ein Abwarten möglich wäre. Eine Aufklärung in diesem Umfang hat der Senat jedoch dann abgelehnt und die durchgeführte Aufklärung als ausreichend erachtet.

In dem Urteil ist die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden, es steht zu erwarten, dass gegebenenfalls Methodik und Durchführung, aber auch die Kriterien zur Einschätzung des Risikos in der Revisionsinstanz noch präziser beschreiben werden und gegebenenfalls die notwendigen Inhalte einer medizinischen Aufklärung, die einer solchen Behandlung stets und intensiv vorausgehen muss, geklärt werden.

Die Revision wird unter dem Aktenzeichen B 1 KR 20/19 R vor dem Bundessozialgericht geführt.  Als Rechtsfrage ist formuliert worden:

„Ist eine nach einem relativ groben Untersuchungsmaßstab rezidivfreie Krebserkrankung (Mantelzelllymphom) bei der aufgrund „schlummernder“ Krebszellen die große Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese in ein Rezidiv in Form eines sich dann schnell entwickelten, unumkehrbaren und im Ergebnis tödlichen Prozesses umschlägt, wertungsmäßig mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung vergleichbar?“

Hamburg, 30.08.2019